Der XII. Senat beim Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 27.01.21 (XII ZB 450/20) gleich zwei für den Erbrechtler wichtige, bislang umstrittene Fragen geklärt.
Amtliche Leitsätze, BGH vom 27.01.21, XII ZB 450/20:
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Dass der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.
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Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.
Worum ging es?
Die Eheleute hatten vor ihrer Hochzeit einen Erbvertrag errichtet und sich in der Urkunde den Rücktritt vorbehalten (s. § 2293 BGB). 2020 erklärte der Ehemann den Rücktritt vom Erbvertrag. Die notarielle Urkunde wurde der Ehefrau und einem vorsorgebevollmächtigten Kind der Ehefrau zugestellt. Wegen Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau hat der Ehemann die Bestellung eines Betreuers zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung angeregt, was vom BetrG und dem Beschwerdegericht abgelehnt wurde. Die Rechtsbeschwerde bliebt ohne Erfolg, da eine Betreuerbestellung wegen der Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei.
Die wesentlichen Entscheidungsgründe:
Die Einrichtung einer Betreuung ist nach Auffassung des BGH mit Blick auf die den Kindern der Betroffenen erteilte umfassende Vorsorgevollmacht nicht erforderlich i.S.d. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB.
Zunächst hat der BGH die Frage bejaht, ob ein vertraglich vereinbarter Rücktritt vom Erbvertrag auch gegenüber einem geschäftsunfähig gewordenen Vertragspartner erklärt werden kann. Dies ergäbe sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, der zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten in § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB an den Tod des anderen Vertragschließenden als eindeutige und unschwer zu bestimmende zeitliche Zäsur, bis zu der das Rücktrittsrecht auszuüben ist, anknüpft, und nicht an die Geschäfts- oder Testierfähigkeit. Dass ein geschäfts- oder testierunfähig gewordener Vertragspartner nach einem erklärten Rücktritt selbst nicht mehr wirksam verfügen könne, „sei schlicht Ausdruck des allgemeinen Risikos der Testierunfähigkeit“, so der BGH (m.w.N.).
Dies führte sodann zur nächsten, höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage, ob eine (Widerrufs- oder) Rücktrittserklärung auch gegenüber einem vom geschäftsunfähigen Erklärungsempfänger zuvor rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten erklärt werden kann. Der BGH sah hier keine entgegenstehenden gesetzlichen Vorgaben: § 131 Abs. 1 BGB schließe die Wirksamkeit des Zugangs bei einem Bevollmächtigten (der nicht gesetzlicher Vertreter ist) nicht aus, da insoweit § 164 Abs. 3 BGB gelte. Auch stehe § 2296 BGB dem nicht entgegen, da es sich bei der Entgegennahme der Rücktrittserklärung nicht um eine höchstpersönliche Angelegenheit handele, so dass nach allgemeinen Grundsätzen Stellvertretung zulässig sei.
Anmerkung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn, Hilden:
Zwar hatte der BGH nur über eine Fallkonstellation zu befinden, in der es um eine Rücktrittserklärung von einem Erbvertrag ging. Wie aus der Begründung des Beschlusses ersichtlich ist, kann für die Konstellation des Widerrufs einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament nichts anderes gelten.
Auch behandelte der Beschluss nur einen Fall des vorbehaltenen Rücktritts; es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb ein Rücktritt aus anderen Gründen (§§ 2294, 2295 BGB) nicht ebenfalls gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten erklärt werden könnte.
In seiner Entscheidung und mit der weiteren Begründung stärkt der BGH das Institut der Vorsorgevollmacht nun auch im Bereich des Erbrechts. Die Einrichtung einer (Ergänzungs-) Betreuung für die Zustellung des Widerrufs einer wechselbezüglichen Verfügung oder des Rücktritts von einem Erbvertrag ist fortan, wenn eine Vorsorgevollmacht vorliegt, nicht mehr erforderlich.
Ist der Zurücktretende unterdessen selbst der Bevollmächtigte, sollte sicherheitshalber allerdings die Bestellung eines Betreuers angeregt werden!