Das Verwirken einer Pflichtteilsklausel führt zur Anwachsung auch bei Patchwork – Testamenten
Das OLG Hamm hatte über die Rechtsfolgen einer verwirkten Pflichtteilsstrafklausel zu entscheiden (Beschl. v. 27.11.12, I-15 W 134/12). Schwerpunkt war die Frage, ob nach Geltendmachung des Pflichtteils eine Anwachsung auch bei Patchwork – Testamenten ausgelöst wird oder der überlebende Ehegatte zugunsten seiner Kinder neu verfügen konnte.
Das OLG Hamm entschied:
Haben Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament sich wechselseitig zu Alleinerben und die Kinder des Ehemanns unter der auflösenden Bedingung einer Pflichtteilsstrafklausel zu ihren Schlusserben eingesetzt, so kann die Ehefrau, nachdem eines der Kinder den Pflichtteil geltend gemacht hat, nachträglich nicht wirksam ihre Tochter auf den 1/2-Anteil des weggefallenen Kindes einsetzen.
Rechtliche Ausgangssituation
Um bei gemeinschaftlichen Testamenten (z.B. beim Berliner Testament) den überlebenden Ehegatten vor der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch Abkömmlinge wirtschaftlich zu schützen, finden sich nicht selten sog. „Pflichtteilsklauseln“, wie z.B.:
„Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des zuerst Sterbenden seinen Pflichtteil geltend machen, soll es nach dem Letztlebenden von uns ebenfalls enterbt sein.“
Die Geltendmachung des Pflichtteils durch einen Abkömmling führt bei einer solchen Klausel zum Eintritt der auflösenden Bedingung für die Erbeinsetzung. Damit ist die den Pflichtteil fordernden Person automatisch enterbt, § 2075 BGB.
Der frei werdende Erbteil kann dann entweder bei den weiteren Erben anwachsen (§ 2094 BGB), im Wege einer Ersatzberufung anderen Personen zugedacht werden (§ 2096 BGB) oder – wenn die Pflichtteilsstrafklausel rein enterbenden Charakter hat – frei bleiben, so dass insoweit gesetzliche Erbfolge eintritt.
Sind die Rechtsfolgen in der Pflichtteilsstrafklausel nicht eindeutig definiert, ist der Wille der Ehegatten durch (ergänzende) Auslegung zu ermitteln.
Verwirkte Pflichtteilsklausel führt regelmäßig zur Anwachsung
Nach h.M. tritt durch den Wegfall des den Pflichtteil geltend machenden Abkömmling nicht die gesetzliche Erbfolge ein, sondern wächst der Erbteil dem anderen Schlusserben zu (§ 2094 Abs. 1 S. 1 BGB).
Auch eine Ersatzberufung seiner Abkömmlinge (§ 2069 BGB) komme regelmäßig nicht in Betracht. Dies würde regelmäßig dem Erblasserwillen nicht entsprechen, was bereits aus dem Sanktionscharakter der Pflichtteilsklausel folge.
Pflichtteilsklausel wechselbezüglich
Eine Pflichtteilsklausel ist nach h.M. auch „wechselbezüglich“ i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB und entfaltet Bindungswirkung.
Denn sie modifiziert die Schlusserbeneinsetzung dergestalt, dass bei Eintritt der auflösenden Bedingung nicht nur die Einsetzung zum Schlusserben entfällt, sondern gleichzeitig auch die Erbquoten der übrigen Erben sich infolge Anwachsung erhöht.
Diese Folge würde beeinträchtigt, wenn der überlebende Ehegatte den Erbteil des weggefallenen Erben durch (einseitige) letztwillige Verfügung anderweitig zuweisen oder gar den Weggefallenen wieder als Erben einsetzen könnte (vgl. den Fall des BayObLG, NJW-RR 2004, 654).
Anwachsung auch bei Patchwork
Das OLG Hamm hatte letztlich die Frage zu beantworten, ob nicht ausnahmsweise aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls (Patchwork; nur die Kinder des Ehemanns als Schlusserben eingesetzt) angenommen werden kann, dass der angewachsene Erbteil doch frei ist, also nicht der Bindung unterliegt.
Daher prüfte der Senat die Frage, ob das gemeinschaftliche Testament dahingehend ausgelegt werden könne, ob nicht vielleicht „die Bindungswirkung hinsichtlich des ½-Erbanteils entfiel, mit der Folge, dass die Erblasserin hinsichtlich dieses ½-Erbanteils nunmehr wirksam verfügen konnte.“
Seiner Auffassung nach müssten dann aber „konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Stiefelternteil seine Bindung, z.B. aufgrund der familiären Verhältnisse in emotionaler oder wirtschaftlicher Hinsicht, nur insoweit wollte, als jeder einzelne der eingesetzten Schlusserben den Nachlass zu Lebzeiten des Stiefelternteils nicht in Anspruch nahm.“
Solche Anhaltspunkte für eine derartige Motivlage der Testatoren (zur Zeit der Testamentserrichtung) vermochte der Senat nicht erkennen.
Praxishinweis von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:
Die Entscheidung verdient im Ergebnis Zustimmung, wenngleich im Rahmen der Auslegung m.E. hinsichtlich der Bindungswirkung oder gar der Frage einer Abänderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten bei einseitigen Abkömmlingen ein strengerer Maßstab angelegt werden sollte als bei gemeinschaftlichen Kindern.
Nichtsdestotrotz zeigt sich einmal mehr, dass bei der Gestaltung von Pflichtteilsklauseln neben den die Klausel auslösenden Momenten und den beabsichtigten Rechtsfolgen auch besonderes Augenmerk auf den Umfang der Bindungswirkung und die Möglichkeiten ihrer Durchbrechung durch Abänderungsklausel gelegt werden muss.